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Ende des 5. Jahrhunderts n. Chr. schien der Untergang des Römischen Reiches nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Bereits 476 hatte der germanische Söldnerführer Odoaker mit Romulus Augustulus den letzten Kaiser der westlichen Reichshälfte abgesetzt und in Pension geschickt. Kurz darauf errichteten die Ostgoten unter Theoderich in Italien ihr Reich, das auch Teile des Balkans und Südfrankreichs umfasste. In Gallien entstand das Reich der Franken, Nordafrika war bereits ab 429 von den Vandalen erobert worden. Die Westgoten hatten sich auf der Iberischen Halbinsel etabliert.
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Auch das Ostreich wankte. Nach den Hunnen drängte mit den (Proto-)Bulgaren ein weiteres Reitervolk aus der eurasischen Steppe gegen die Grenzen. Schwere Niederlagen gegen das Großreich der persischen Sassaniden erschütterten den Osten, religiöse Streitigkeiten vergifteten die Innenpolitik. Und wie seit Langem schon im Westen drohte auch das oströmische Kaisertum zu einer Marionette barbarischer Militärs herabzusinken.
Umso erstaunlicher war das Bild, das sich zwei Generationen später, um 565 n. Chr., bot. Fast die gesamte Mittelmeerwelt wurde wieder von einem Kaiser regiert. Italien, Afrika, Südspanien, der westliche Balkan waren wieder römische Provinzen. Im Osten galt ein allerdings labiler Frieden. Wie als Siegesmonument zeugte die neue Kirche der Hagia Sophia in der Hauptstadt Konstantinopel von der Restauration des Imperiums.

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Diese Leistung verbindet sich mit einem Namen: Justinian I. (482/3–565). In seiner langen Regierungszeit (38 Jahre), mit der er an die des Reichsgründers Augustus (44 Jahre) und des ersten christlichen Imperators Konstantin (31 Jahre) anknüpfte, gelang ihm die Rückeroberung des Westens und die Etablierung eines machtvollen Kaisertums. Nicht umsonst nennt Peter Heather sein Buch „Die letzte Blüte Roms“ (Wiss. Buchgesellschaft/Theiss), in dem der britische Historiker vom Londoner King’s College „Das Zeitalter Justinians“ einer ebenso farbigen wie detailreichen Analyse unterzieht.

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So widmet Heather, der mit mehreren großen Büchern über den Übergang von der Spätantike zum Mittelalter für Aufsehen gesorgt hat, den Soldaten, mit denen Justinian seine Eroberungsfeldzüge führte, ein umfangreiches Kapitel. Wie in den Jahrhunderten zuvor waren es Berufssoldaten, deren Ausrüstung und Besoldung große Teile des Staatshaushalts verschlangen. Doch dieses Heer „entsprach in vielerlei Hinsicht nicht mehr dem römischen Heer etwa unter Caesar oder Augustus, als eine in Legionen aufgeteilte Infanterie, die aus römischen Bürgern bestand, von nicht römischen Hilfstruppen unterstützt wurde“.
Diese Kriegsmacht, die um 200 etwa 350.000 Römer und eben so viele Hilfssoldaten umfasste, hatte sich für eine lineare Verteidigung der Grenzen als unfähig erwiesen. Es dauerte allerdings einige Zeit, bis das Reich auf die zahlreichen Invasionen und Usurpationen, die das 3. Jahrhundert zu einer Dauerkrise machten, mit einer grundlegenden Verwaltungs- und Heeresreform eine Antwort gefunden hatte.
Roms Heer
Die Ausrüstung eines römischen Legionärs
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Provinzen und Heereseinheiten wurden verkleinert, um Erhebungen ehrgeiziger Amtsinhaber zu erschweren. Mehrere Kaiser teilten sich Verteidigungsaufgaben, die zudem von grenznahen Zentralen wie Trier wahrgenommen wurden. Vor allem aber wurde die Armee in drei große Heeresgruppen gegliedert.
Den höchsten Status besaßen die beiden Praesentalis-Armeen, die im Raum Konstantinopel stationiert waren. Darunter rangierten die drei mobilen Feldarmeen, die in Thrakien, Illyrien und in Syrien lagen, die ebenfalls von einem magister militum (Heermeister) geführt wurden. Unter ihnen standen die Grenztruppen (limitanei), geführt jeweils von einem dux (Anführer).

Zwar führten manche Einheiten die Tradition ruhmreicher Legionen der frühen Kaiserzeit fort, die bis zu 5000 Mann stark gewesen waren. Tatsächlich aber handelte es sich bei den spätantiken Truppenteilen, die nun (Lateinisch) numerus oder (Griechisch) arithmos genannt wurden, um Verbände von 1000 bis 1500 Mann, deren Ausrüstung und Sold nach dem Rang der Heeresgruppe bemessen wurden, zu der die Truppe gehörte.
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Das mag sich auch in der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit gespiegelt haben. Allerdings verwirft Heather die alte These, bei den limitanei habe es sich nur um Bauernsoldaten gehandelt, die allenfalls zu Grenzkontrollen eingesetzt worden wären. Gerade im Kampf gegen kleine Beutezüge barbarischer Gruppen auf dem Balkan erwiesen sich diese Grenztruppen als durchaus leistungsfähig.

An der Euphrat-Front reichte das allerdings kaum aus. Dort war in der Mitte des 3. Jahrhunderts mit dem Reich der persischen Sassaniden eine rivalisierende Großmacht entstanden, die das römische Imperium wiederholt herausforderte und seine Armeen wiederholt schlug. „Das Römische Reich benötigte drei Politikergenerationen, um sich von dieser Abfolge katastrophaler, erniedrigender Niederlagen zu erholen und das Gleichgewicht an der Ostfront wiederherzustellen“, schreibt Heather.
Die entscheidende Neuerung wurde die Verstärkung der Kavallerie. War die Hauptwaffe der Griechen und Römer die schwere Infanterie gewesen, wurde nun nach dem Vorbild der persischen Kataphrakten die Panzerreiterei massiv ausgebaut. In ihrer Bewaffnung mit langen Lanzen, der Panzerung von Reiter und Pferd und der Taktik des geschlossenen Schockangriffs wurde diese Truppe zum Wegbereiter des abendländischen Ritters des Mittelalters.
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Eine weitere äußere Bedrohung beantwortete Ostrom mit einer Modifizierung seiner Kavallerie. Ab den 370er-Jahren hatte das aus der eurasischen Steppe stammende Nomadenvolk der Hunnen in Osteuropa ein riesiges Reich errichtet. Die Kampfesweise dieser leichten Kavallerie wurde auch von unterworfenen Germanenstämmen übernommen.
Die wichtigste Waffe der Hunnen war ein Reflexbogen, der auch im Galopp wirkungsvoll eingesetzt werden konnte. Archäologische Funde zeigen, dass diese Distanzwaffe ab dem 5. Jahrhundert auch im oströmischen Heer eingesetzt wurde und „eine veritable Revolution der Taktik und Ausrüstung“ begründete. Damit ausgestattete leichte Reiterverbände (kursures) schlugen im Gefecht zunächst Lücken in die Linien der Feinde, in die die schweren Panzerreiter (defensores) anschließend wie ein Rammblock stoßen konnten.
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Parallel dazu wurde die Ausrüstung der Infanterie so verändert und erleichtert, dass sie schnell und beweglich im Verbund mit der Reiterei kämpfen konnte. Dazu gehörte, dass die Fußsoldaten auch mit Bögen und anderen Projektilwaffen ausgestattet wurden, um gegen Reiter vorgehen zu können.
Die verschachtelten Kommandostrukturen im oströmischen Heer sollten nach Heather verhindern, dass ein General zu viel Machtmittel in die Hand bekam, mit denen er den Griff nach dem Thron hätte wagen können. Allerdings verfügten Feldherrn wie der berühmte Belisar über eigene Garden (bucellarii), die auf sie persönlich eingeschworen waren und von ihnen finanziert wurden. Mit dieser Truppe, die wohl 7000 Mann umfasst haben mag, ertränkte Belisar 532 den Nika-Aufstand gegen Justinian in Blut. Für Heather waren die bucellarii „die neuen Elitetruppen des 6. Jahrhunderts“, die auch die neuen Formen des Kampfes entwickelten.
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Mit dieser Kriegsmacht eroberten Justinians Generäle 534 das Vandalenreich in Afrika, von 535 bis 552 das Ostgotenreich in Italien und kurz darauf den Süden der Iberischen Halbinsel. Auch kam nach langen Kämpfen ein – brüchiger – Frieden mit dem Sassanidenreich zustande. Das Römische Imperium umspannte fast wieder in Gänze das Mittelmeer.
Dennoch zieht Heather eine zwiespältige Bilanz. Gewiss war es „eine echte Leistung ... fast 40 Jahre auf dem Thron zu bleiben und dann friedlich im Bett zu sterben“. Auch zeigen regionale Untersuchungen, dass die Wirtschaft in den Kerngebieten des Imperiums trotz der außerordentlichen militärischen Anstrengungen einigermaßen intakt blieb, während die eroberten Gebiete darbten.
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Die größte Hypothek der Expansionspolitik aber war die Frage, wie die gewonnenen Gebiete künftig gesichert werden sollten – zumal mit der sogenannten Justinianischen Pest das Reich 541–544 einen furchtbaren Menschenverlust hinnehmen musste. Manche Schätzungen rechnen mit einem Drittel der Bevölkerung.
Vor allem aber stellte der außenpolitische Erfolg, mit dem Justinian seine lange Herrschaft legitimiert hatte, für seine Nachfolger „ein geradezu toxisches politisches Vermächtnis“ dar, schreibt Heather. Sie brachen verlustreiche Kriege gegen die Awaren und Perser vom Zaum, die Anfang des 7. Jahrhunderts fast in der Katastrophe geendet hätten. Zwar konnte Ostrom die Sassaniden schließlich zurückschlagen. Aber in den langen Kriegen hatten sich beide Großmächte so sehr verausgabt, dass sie dem Ansturm des neuen Gegners nicht mehr gewachsen waren: den Heeren des Islam.
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Dieser Artikel wurde erstmals am 01. Oktober 2019 veröffentlicht.